In der Königsklasse unterwegs – Circular Economy und Elektronik

ZF Friedrichshafen AG


Das Unternehmen


Die ZF Friedrichshafen AG ist ein weltweit aktiver Technologiekonzern und liefert Systeme für die Mobilität von Pkw, Nutzfahrzeugen und Industrietechnik. Mit einem umfassenden Technologieportfolio bietet ZF Lösungen für Automobilhersteller und Mobilitätsanbieter. Ein Schwerpunkt der Weiterentwicklung der ZF-Systeme ist die digitale Vernetzung und Automatisierung. ZF ist mit 148.000 Mitarbeitern an rund 240 Standorten in 41 Ländern vertreten. Das Werk am Standort Bielefeld beschäftigt 220 Mitarbeiter und hat sich auf die Aufarbeitung von Antriebsstrangmodulen für den Aftermarkt in Europa spezialisiert.


Unsere Motivation


Unsere Vision – Wirtschaft und Umwelt müssen keine absoluten Gegensätze sein, sondern sollten besser in Einklang miteinander gebracht werden. Das Prinzip von Cradle to Cradle (C2C) mit seinen fünf Kriterien ist dabei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Ein großes Ziel am ZF Stand-ort in Bielefeld ist es, möglichst die gesamte serienmäßige Produktpalette nach C2C zu zertifizieren. Ein weiteres Ziel ist es, 2025 klimaneutral oder besser, klimapositiv zu werden, weil die Entwicklungen einfach zum Handeln verpflichten. Wir haben jetzt die Möglichkeit, in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen und Unternehmensnetzwerken die Weichen zu stellen!

Bereits seit 1963 werden am Standort Bielefeld Antriebsstrangmodule industriell aufgearbeitet. Die nähere Beschäftigung mit dem Cradle to Cradle (C2C) Ansatz wurde durch den Mitarbeiter Gerd Bobermin initiiert, der sich schon länger auf kommunalpolitscher Ebene mit dem Thema C2C für Gewerbegebiete auseinandergesetzt hatte. 2015 gab es eine Veranstaltung des Vereins Deutscher Ingenieure in Bielefeld mit Prof. Dr. Michael Braun-gart. Sein C2C-Ansatz deckte sich mit den Aktivitäten am ZF Standort in Bielefeld.

Der Entschluss, sich mit dem C2C Ansatz weiter zu beschäftigen, wurde auch durch die politischen Entwicklungen sowohl auf EU- als auch auf Bundesebene bestärkt, z.B. durch die geplante Klimaneutralität im Jahr 2050. Viele Unternehmen sehen sich immer stärker unter Zugzwang, Umweltvorgaben umzusetzen. Wir wollen durch vorausschauende Umweltaktivitäten optimal auf die Zukunft vorbereitet sein.

Gleichzeitig steigt die Umweltsensibilität in vielen Bereich der Wirtschaft. Viele Kunden fragen nach Umweltzertifikaten. Hier haben wir einen klaren Wettbewerbsvorteil.

Durch die Beschäftigung mit dem C2C Ansatz sehen wir eine große Chance, unsere Produkte zu verbessern. Wir wollen uns am Standort Bielefeld ein eigenes Bild über die verwendeten Materialien und die Materialgesundheit der Stoffe sowie deren mögliche Wiederverwendung machen. Durch dieses Wissen schützen wir einerseits unsere MitarbeiterInnen vor Gesundheitsrisiken und sparen gleichzeitig durch die Nutzung der Produkte im Kreislauf Kosten ein.

Ziel ist es, Produkte zu einem möglichst hohen Prozentsatz wiederzuverwenden. Für nicht wiederverwertbare Teile prüfen wir Recyclingmöglichkeiten. Wir suchen nach technischen Lösungen, damit die Qualität wiederauf-gearbeiteter Produkte der von Neuteilen entspricht.


Unser Weg


Gestartet haben wir 2017 mit der Kupplungsdruckplatte MFZ 430. Dieses Produkt besteht hauptsächlich aus Metall. Derartige Produkte sind einfacher zu zertifizieren als z.B. Kunststoffprodukte. Wir haben dieses Produkt gewählt, um mit dem gesamten C2C Zertifizierungsprozess erste Erfahrungen zu sammeln, einen Einstieg zu finden und notwendige Kontakte aufzubauen.

Für eine C2C Zertifizierung gibt es 5 Kriterien, die zu berücksichtigen sind:
  • Materialgesundheit
  • Kreislauffähigkeit der eingesetzten Materialien
  • Einsatz von erneuerbaren Energien
  • verantwortungsvoller Umgang mit Wasser
  • soziale Gerechtigkeit

Im C2C-Konzept müssen auch Fertigungsverfahren und Hilfsstoffe beachtet werden.

Neben den produktbezogenen Kriterien wie Materialgesundheit und Kreislauffähigkeit, wurden die Basiskriterien erneuerbare Energien, verantwortlicher Umgang mit Wasser und soziale Gerechtigkeit in Angriff genommen. Die Druckplatte wurde schließlich mit der Stufe Gold bewertet.

2018 folgte der Drehmomentwandler 8HP. Mit der Zertifizierung des Drehmomentwandlers wollten wir weitere Erfahrungen in der Zertifizierung von Kunststoffen und der Wiederaufarbeitung von Altöl sammeln. Hierfür mussten wir neue Konzepte zusammen mit unseren Zulieferern erarbeiten.

Als nächstes folgten die Zertifizierungen der Kupplungsscheiben. Die Herausforderung bei der Durchführung der Zertifizierung waren die Reibbeläge. Die Materialgesundheit hat sich als unproblematisch herausgestellt. Perspektivisch soll auch noch der Kupferanteil der Reibbeläge recycelt werden. Auch die Kupplungsscheiben wurden mit Gold zertifiziert.

Die nächste Herausforderung war der ConAct, ein Ausrücksystem für LKWs. Dieses Produkt enthält sowohl Kunststoffe als auch elektronische Teile. Hier haben wir uns insbesondere auf die elektronischen Teile wie Mikroprozessoren und Platinen konzentriert, d.h. hier liegen viele unterschiedliche Materialien vor.

Kernfragen waren,
  • welche Bestandteile hier verbaut sind,
  • welche davon mit Schadstoffen behaftet sind,
  • welche wiederverwertbar sind und
  • wie Kleinstmengen zurückgewonnen werden können.
Ein Bestandteil ist z.B. ein Magnet aus seltenen Erden. Hier haben wir zu-nächst über Recycling nachgedacht und in einem zweiten Schritt über eine direkte Wiederverwendung.

Anfang des Jahres 2020 haben wir die Drehmoment-Wandler 6HP zertifiziert. Dieses Produkt baut auf den bereits zertifizierten 8HP Drehmomentwandler auf. Somit mussten nur noch wenige Teile nachzertifiziert werden. Für uns besonders interessant ist, dass dieses Produkt ein B2C-Produkt ist, d.h. es wird direkt an die Endkunden vertrieben und das C2CZertifikat kann seine volle Werbewirkung erzielen. Damit ist mittlerweile die komplette Produktfamilie „Drehmomentwandler“ C2C zertifiziert.

Der Grundpfeiler unseres C2C Ansatzes ist eine bereits etablierte Altteilerückholung seit 1963, d.h. eine reverse Logistik. Seit vielen Jahren verfolgen wir den Weg unserer Produkte. Dafür gibt es eine Abteilung, die die Märkte unserer Produkte bis nach Afrika und Asien im Blick behält und sich aktiv um die Rückführung von Produkten kümmert. Daneben gibt es Kunden, die die Produkte direkt zurücksenden. Unterstützt wird die Rückführung durch Pfand- und Rabattsysteme, d.h. Kunden erhalten neue Produkte günstiger, wenn sie die alten zurückgeben. Über diese Verfahren erhalten wir ca. 30 – 35 % unserer weltweiten Produkte zurück. Dieser Prozentsatz soll in Zukunft noch erhöht werden.

Unser C2C-Team trifft sich in regelmäßigen Besprechungen. Dort wird festgelegt, welche neuen Produkte zertifiziert werden. Dafür betrachten wir unsere Produkte systematisch, d.h. welche Kunden stehen hinter diesen Produkten bzw. welche Kunden könnte es interessieren. Neue Ideen entstehen auch durch Gespräche mit unseren Zulieferern. Die Vorarbeiten und Materialuntersuchungen für die Zertifizierung können wir teilweise selbst durchführen, oft bedarf es aber auch externer Expertise. Am Ende werden die Unterlagen dem „Cradle to Cradle Products Innovation Institute“ in den USA zur Einstufung in die C2C-Bewertungsstufe vorgelegt.

Uns ist es wichtig, Produkte nicht einfach zur Begutachtung und Weiterentwicklung an die zu zertifizierende Stelle zu geben, sondern den Prozess selbst zu gestalten. Dies hat einerseits die Kosten für die Zertifizierung deutlich gesenkt, aber auch dazu geführt, dass wir uns sehr ausführlich mit unseren eigenen Produkten und deren Inhaltsstoffen beschäftigt haben. Das hat zu Kostenreduktionen und Effizienzverbesserungen geführt.

Für die Zertifizierung ist eine Zusammenarbeit mit unseren Zulieferern erforderlich. Wir sind auf diese zugegangen und viele waren erstaunlich offen und kooperativ und selbst an Weiterentwicklungen interessiert. Wichtig ist es, immer auch „über den Tellerrand“ zu schauen, um auf neue Ideen und Lösungen zu kommen.


Die Stolpersteine


Die Umsetzung der einzelnen C2C Kriterien stellt uns als Unternehmen natürlich vor gewisse Schwierigkeiten. Vor allem Produkte, die aus Kunststoff und Elektronik bestehen, sind sehr herausfordernd. Die Zusammensetzungen von Kunststoffen lassen sich nur sehr aufwändig herausfinden. Oft sind dies Zukaufteile, bei denen die Zusammensetzung des Materials unklar ist. Für einige Kunststoffe konnten umweltschonende Ersatzstoffe gefunden werden, bei anderen kann es schwieriger werden. Auch bei elektronischen Teilen ist es schwierig, diese in ihre Bestandteile zu zerlegen. Ein Produkt aus wenigen Einzelteilen oder nur einem Stoff ist deutlich schneller zu bewerten und zu analysieren.

Unser Standort hat zu 100 % auf Grünstrom umgestellt. Nach C2C-Standards kommen hier nur erneuerbare Energien in Frage und es wurde eine Verteuerung der Energiekosten befürchtet. Tatsächlich weicht jedoch der Kostenanteil für Grünstrom nicht erheblich vom „normalen Mix“ ab.

Die Erfolge


Nach unserem Wissen ist der ConAct das erste C2C zertifizierte Bauteil mit elektronischen Bauteilen und ZF somit Vorreiter in Bezug auf die Zertifizierung komplexer Produkte. Wir sehen den Prozess als Chance, unsere Produkte zu verbessern und Kosten einzusparen. Die Materialeinsparung eines aufgearbeiteten Teils im Vergleich zu einem „Neuteil“ beträgt im Durchschnitt über alle Produkte hinweg 50 bis 90 % und spart 90 % der eingesetzten Energie. Somit sind aufgearbeitete Aggregate deutlich günstiger als Neuteile. In unserem Werk werden ca. jeden Tag 50 t Alt-Aggregate sortiert. Dies entspricht im Jahr dem Gewicht des Eifelturms. Wir produzieren jährlich ca. 180.000 Druckplatten und Scheiben, 10.000 Drehmoment-Wandler und ca. 27.000 ConActs.

Als Nebeneffekt konnten wir unsere Entsorgungskosten für Abfälle reduzieren. Diese wurden in der Vergangenheit nicht getrennt, sondern fast komplett kostenpflichtig an einen Entsorger abgegeben. Im Rahmen der Zertifizierung haben wir uns diesen Abfall näher angeschaut und mit der spezifizierten Trennung begonnen. Mittlerweile können wir durch den Verkauf von Materialien wie Metallen oder Aluminium sogar Erlöse erzielen.

Als Unternehmen werden wir als umweltbewusst wahrgenommen. Wir nehmen an Awards und Wettbewerben teil und sind z.B. 2018 mit dem Umweltpreis der Stadt Bielefeld ausgezeichnet worden. Weiterhin stellen wir unsere Ansätze in ZF Fachkreisen vor. All dies ermöglicht uns einen hohen Aufmerksamkeitsfaktor für unsere Produkte.

Über unsere Aktivitäten haben wir sehr positive Kontakte in die Politik knüpfen können. Wir wurden bereits von mehreren Seiten eingeladen, um unser Konzept vorzustellen. Auch für Ideen zur politischen Umsetzung, Nachbesserungen von Gesetzen oder für Empfehlungen zu Fachfragen wurde unser Standort schon um Mithilfe gebeten. Wir schätzen diesen Dialog als sehr wichtig ein und können damit einen Beitrag leisten, was für Unternehmen in puncto Nachhaltigkeit wirklich wichtig ist.


So geht es weiter


Frühjahr 2020 - auch an uns ist die Corona Krise nicht vorbeigegangen und ganze Standorte wurden kurzzeitig heruntergefahren oder befinden sich in der Kurzarbeit. Aber trotzdem oder gerade deswegen haben wir weitere Produkte, wie z.B. den Drehmomentwandler zertifizieren lassen und planen, dies in den nächsten Jahren fortzusetzen.

Die Themen „Altteilerückholkonzept“ und „C2C“ werden vom Standort Bielefeld aus in den weiteren Konzern getragen und sollen z.B. bei einer neuen Produktionslinie in einem ZF Werk in Brasilien Anwendung finden. Seit 2019 gibt es auf Konzernebene eine Nachhaltigkeitsabteilung.

Was wir anderen mitgeben möchten


Wer sich mit dem Thema C2C auseinandersetzen will, sollte ein Team einsetzen und sich ein Produkt vornehmen. Dann wird man merken, dass die „Problem“-Faktoren Kapazität und finanzielle Mittel durch das Verstehen des Produktes sowie die Möglichkeit, neue Recyclingmöglichkeiten zu finden, aufgehoben werden. Jedes Unternehmen hat seine Fachleute. Je mehr Eigeninitiative eingebracht wird, desto geringer sind die Zertifizierungskosten und das eigene Wissen um das eigene Produkt wächst.

Unsere Empfehlung an die Politik


Im Jahr 2030 sollen 70 % des Gesamtmülls Mülls recycelt werden und die Deponierung von Abfällen ist auf 5 % zu begrenzen. Stand heute liegt der Anteil für das Recyceln oder Kompostieren bei ca. 44 %, wovon 28 % deponiert werden. Daneben wird geschätzt, dass der Rohstoffbedarf der Weltwirtschaft in den nächsten 15 Jahren um mehr als 50 % steigen könnte. Hier wird also noch einiges auf uns zukommen!

Um das Ruder herumzureißen, müssen wir zu einem zirkulären Modell übergehen, bei dem die Materialien und ihr Wert so lange wie möglich innerhalb des Wirtschaftssystems im Umlauf gehalten werden. Keiner benötigt eine Waschmaschine. Benötigt wird der Waschvorgang. Wir schließen den Kreislauf von Design, Herstellung, Verbrauch und Entsorgung und schaffen dadurch eine Umwelt - und kreislauforientierte sowie wettbewerbsfähige Wirtschaft in Europa!

Zu guter Letzt


Wir unterstützen alle, die sich dafür engagieren, die Welt ein wenig lebenswerter zu gestalten. Und wir sind gerne bereit, unser Wissen mit anderen in Form von Kongressen, Betriebsbesichtigungen, Vorträgen etc. zu teilen. Wir setzen uns dafür ein, dass Ostwestfalen-Lippe eine C2C oder Circular Economy Modellregion wird. Das ist vor allem auch ein gutes Mittel zur Standortsicherung. Ansonsten können wir nur jeden einladen, sich beim Thema C2C zu engagieren.

Wir reden gerne mit Ihnen


Unser Team


Jörg Witthöft, Standortleiter Werk Bielefeld
Thorsten Krug, Technischer Leiter Werk Bielefeld
Gerd Bobermin, Fertigung Drehmomentwandler

ZF Friedrichshafen AG
Werk Bielefeld
Windelsbleicher Straße 80
33647 Bielefeld
+49 (0)521 41703-0
www.zf.com


Das Gespräch führten Gerd Bobermin (ZF Friedrichshafen AG, Werk Bielefeld) und Ulrike Künnemann (InnoZent OWL e.V.), Mai 2020

Ein Best Practice Beispiel im Rahmen von CirQuality OWL.